20-80%-iges Risiko laufsportbedingter Verletzungen?!

20-80% der Läufer:innen erleiden innerhalb nur eines Jahres eine laufsportbedingte Verletzung. Eine schier unglaublich hohe Zahl! Dass möglichst wenig Trainingsausfall über einen längeren Zeitraum ein entscheidender Faktor für sportliche Höchstleitungen darstellt, liegt auf der Hand. Aber wie lässt sich das hohe Verletzungsrisiko -trotz großer Laufumfänge und hoher Belastungen- minimieren?

 

Um diese Fragestellung dreht sich die zweiteilige Podcastfolge mit Prof. Dr. Steffen Willwacher. Er ist nicht nur Professor im Bereich der Biomechanik, sondern auch Ex-Zehnkämpfer und war in der Folge vom 20. September 2021 im Podcast zu Gast. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit typischen Laufverletzungen. Bei der oben genannten Verletzungswahrscheinlichkeit von 20-80% sieht Prof. Willwacher noch enormes Verbesserungspotenzial. Genau daraus schöpft er seine Motivation, im Langstreckenbereich tätig zu sein. Das heißt für ihn, sowohl die Leistungsfähigkeit von Leistungssportler:innen zu verbessern als auch im Breitensport Verletzungsfreiheit und Freude am Laufen sicher zu stellen.

 

Allgemein ist der Wille, viel zu trainieren, bei (fast) allen Athlet:innen im Leistungssport vorhanden; es mangelt selten an der Motivation. Aber nur wenige bringen zwei weitere entscheidende Eigenschaften mit: erstens die nötige Verletzungsresistenz und zweitens Frustrationstoleranz, wenn es eben doch mal zu einer Verletzung kommt. Denn besonders im Hochleistungssport ist man immer latent dabei, sich zu überlasten. Das Training findet in Grenzbereichen mit hohem Verletzungsrisiko statt. Körper und Geist werden tagtäglich auf die Probe gestellt. Diejenigen, die das über längere Zeit am besten tolerieren können, sind letztendlich in der Lage, aufgrund größerer Trainingsumfänge die besseren Leistungen zu erbringen.

 

Zurück zur 20-80%-igen Wahrscheinlichkeit für eine laufsportbedingte Verletzung: Woraus ergibt sich eine so starke Streuung? Leider variieren die Definitionen für eine „Verletzung“ in der Literatur sehr stark. Ist man schon verletzt, wenn man „nur“ Schmerzen hat? Muss die Verletzung mittels eines bildgebenden Verfahrens festgestellt oder von einem /-r Sportmediziner:in diagnostiziert werden? Wie ihr seht: Es ist schwierig, hier eine klare Grenze zu ziehen. Da falsches Schuhwerk ein häufiger Grund für Verletzungen ist, kann und sollte unter anderem hier angesetzt werden. Das langfristige Ziel muss also lauten: Laufschuhe entwickeln, die weniger Verletzungen garantieren beziehungsweise die auf dem Markt vorhandenen Schuhe dahingehend optimieren.

 

In seiner Doktorarbeit manipulierte Prof. Willwacher zwei Variablen: Einerseits das Schuhwerk, welches bei einigen Proband:innen mit, bei anderen ohne Dämpfungssystem ausgestattet war. Und andererseits die Umgebung, die durch einen harten oder weichen Untergrund gekennzeichnet war.

 

Aber was waren nun die Ergebnisse der Studie? Zusammengefasst lässt sich sagen: Wenig gedämpfte Schuhe oder ein härterer Untergrund führen zu höheren Belastungen der Strukturen im Fuß. Dagegen kann ein gut gedämpfter Schuh oder ein weicher Untergrund zwar die Fußstrukturen entlasten; Jedoch geht diese Modifikation gleichzeitig mit einer höheren Belastung des Kniegelenks einher. Das heißt, die Belastung in den unteren Extremitäten kann zwar nie komplett aufgehoben werden; Sie lässt sich aber zumindest verschieben. Dieses Wissen kann vor allem für Personen mit einer chronischen Fuß- oder Knieproblematik von großem Vorteil sein.

 

Kurzum: Der Härtegrad der Schuhe und der Laufuntergrund sind in der Lage, die Hauptbelastungspunkte im Körper zu verändern.

 

Die Versuchspersonen, die sich für Prof. Willwachers Studie untersuchen ließen, waren Freizeitläufer:innen in 20 bis 25-köpfigen Gruppen. Aber Achtung! Genau hier liegt der Haken: Nicht alle Läufer:innen reagieren auf jede Modifikation identisch. Daher ist es immer nötig, auch individuelle Schlüsse zu ziehen. Die Ergebnisse lassen sich also nicht kopflos generalisieren. Beispielsweise führt Übergewicht beim Laufen zu größeren Belastungen (im Vergleich zu normalgewichtigen Sportler:innen). Daher können Schuhe mit Stützelementen oder einer härter eingestellten Dämpfung sinnvoll sein, vor allem bei längeren Läufen. So kann der vorzeitigen Ermüdung des Bewegungsapparats von Übergewichtigen entgegengewirkt werden. Eine professionelle Beratung mit Laufanalyse ist in jedem Fall empfehlenswert.

 

Autorin: Linn Kleine

 

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